Abbildung eines Tableaus mit verschiedenen Fotografien von einer Person

Objekt

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Abbildung eines Tableaus mit verschiedenen Fotografien von einer Person
Beschreibung des Objekts
Contenwarung: Misgendering und Deadnaming (in der Bildunterschrift)

Schwarz-Weiß-Fotografie, auf der ein Tableau mit sieben unterschiedlich großen Fotografien zu sehen ist, die in drei Spalten angeordnet sind. In der ersten und letzten Spalte sind je zwei Ganzkörper-Fotografien von einer Person zu sehen. In der mittleren Spalte sind ein Porträtfoto, eine vermutlich mikroskopische Fotografie von Spermien und eine dritte, die eine Untersuchungssituation des Genitalbereichs der Person zeigt, abgebildet. Die Person trägt auf den Ganzkörper-Fotos mal männliche, mal weibliche Kleidung, auf einem ist sie unbekleidet dargestellt.

Weil heute nicht mehr nachvollzogen werden kann, unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen dies Fotografien einer unbekleideten Person entstanden ist, wird die Abbildung hier nur zum Teil in Klarform gezeigt.

Kontext:
Über die abgebildete Person ist in einem Beitrag von Magnus Hirschfeld und Ernst Burchard zu lesen, dass es sich um einen „Mann mit vollkommen weiblichen äußeren Genitalien“ handele. Die mit den Initialen E. M. vorgestellte Person hätte die beiden Sachverständigen Hirschfeld und Burchard „auf Rat ihres Anwalts und im Einverständnis mit ihrer Mutter“ mit der Bitte um ein Gutachten aufgesucht, „durch das – wenn möglich – ihre eigenartige Lage geklärt werden könnte“ (Hirschfeld, Magnus/Burchard Ernst (1930): „Sperma-Sekretion aus einer weiblichen Harnröhre“, in: Polzer, Willhelm: Sexuell-Perverse, Leipzig: Asa, S. 265–272, hier S. 265). In einer ausführlichen Anamnese, in der auch die Verwandten von M. zu Wort kommen, wird M. als eine Person beschrieben, die seit Kindesbeinen an, „weibliche“ Betätigungen und Kleidung ablehnte bis „mit fortschreitendem Alter […] das Bedürfnis, in jeder Beziehung als Mann zu leben, sich männlich zu kleiden, männlichen Beschäftigungen im Beruf und Sport nachzugehen und männliches Benehmen zeigen zu dürfen, immer mehr an Intensität [gewann]“ (ebd., S. 267).

Zunächst glaubten die beiden Gutachter „es bei Fräulein M. mit einer weiblichen, homosexuell empfindenden Transvestitin zu tun zu haben“ (ebd. S. 269), doch nachdem der „lückenlose Beweis“ erbracht worden sei, dass M. „zeugungsfähige männliche Keimstoffe“ produzierte, wurde M. als eindeutig männlich eingestuft.

M. wurde damit zu einem Beispiel für das von Hirschfeld entwickelte Konzept der „Zwischenstufen“. Gegen Ende des Artikels heißt es: „Es handelt sich um einen Fall, der unseres Wissens in der wissenschaftlichen Literatur noch nicht beschrieben ist, dessen Vorkommen man aber in Anbetracht der unendlichen Mannigfaltigkeit der Geschlechtsübergänge voraussetzen konnte und dessen tatsächlicher Nachweis einen neuen Beleg dafür liefert, wie jede Mischung männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere in einem Individuum infolge endogener Anlage und Entwicklung möglich ist.“ (ebd. S. 271)

Das Tableau war Teil der Bilderwand „Sexuelle Zwischenstufen“, die für den im August 1913 in London tagenden internationalen medizinischen Kongress angefertigt und dann im Institut für Sexualwissenschaft gezeigt wurde. Der Gründer des Instituts, Magnus Hirschfeld, wollte mit der Bilderwand seine um 1910 vorgelegte „Zwischenstufentheorie“ veranschaulichen und untermauern.

Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstige körperliche Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstige seelische Eigenschaften.

Mit dieser Theorie öffnete Hirschfeld bereits 1907 das gängige Konzept des biologisch-genitalen Geschlechts für Aspekte, die u.a. auf der erlebten Identität der Individuen beruhten.
Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher gingen damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.
Mitwirkende*r
Wilhelm Polzer
Datierung
Ort
Berlin
Sprache
de
Nutzungsrechte Metadaten
CC0
Nutzungsrechte Digitalisat
Public Domain Mark
Gefördert durch
Förderprogramm zur Digitalisierung von Objekten des kulturellen Erbes des Landes Berlin

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