-
Titel des Objekts
-
Abbildung einer Porträtkarte von Valérien Saint-Cӱr
-
Beschreibung des Objekts
-
Schwarz-Weiß-Fotografie einer Porträtkarte, auf der eine Person vor einem neutralen Hintergrund zu sehen ist. Die Person trägt ein Spitzenkleid und einen Schleier vom selben Stoff, der am oberen Hinterkopf befestigt ist. Am Hals trägt sie Perlenschmuck. Die Person ist vom Kopf bis zur Brust zu sehen. Die Aufnahme erfolgte frontal, der Kopf ist nach rechts gedreht, der Blick geradeaus gerichtet. Im unteren Bereich der Karte ist handschriftlich eine Widmung vermerkt: „Meinem hochherzigen Freund, [Vermerk in der linken unteren Ecke nicht lesbar] [rechts daneben] Valérian“.
Kontext:
Bei der abgebildeten Person handelt es sich um Valérien Saint-Cӱr (auch Valerien Saint-Cyr, der als „Damenimitator“ und „Internationaler Soubretten-Darsteller“ zu Anfang des 20. Jahrhunderts auftrat. Er ist wahrscheinlich im Österreich-Ungarischen Raum anzusiedeln. Ein Auftritt im Mai 1902 im Orpheum in Czernowitz wurde freundlich besprochen: „In Herrn Saint Cyr sahen wir einen großartigen Damenimitator dessen Leistungen das Publikum trefflich unterhielten“ (Bukowinaer Rundschau, 21. Jg., 6.5.1902, Nr. 3902). Der Maler und Modezeichner Wulf Konrad Schwerdtfeger (1874–1932) fertige für Saint-Cӱr Entwürfe für Auftrittskostüme.
Der Sexualwissenschaftler und Sexualreformer Magnus Hirschfeld publizierte das Bild in seinem Werk „Geschlechtsübergänge“ in der Rubrik „Gynandromorphie, Gynoglottie“. Hierunter fielen in der Systematik Hirschfelds Männer, die aufgrund ihres Habitus, ihrer Physiognomie und Körperbaus als feminin gelesen wurden und, so Hirschfeld, oftmals eine hohe Stimmlage hatten.
Zu dem hier abgebildeten Foto schrieb Hirschfeld: „Wer sich nur ein wenig auf Physiognomik versteht, wird zugeben müssen, daß der Augen- und Gesichtsausdruck, die Haltung, wie sie hier hervortritt, kein Vollmann artifiziell erzeugen kann, daß Chik, Grazie und Charme in solcher Weise nur von Personen herrühren kann, die wirklich innerlich feminines Empfinden besitzen.“ (Hirschfeld, Magnus (1913): Geschlechtsübergänge. Mischungen männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere (Sexuelle Zwischenstufen), Max Spohr, Text vor Tafel XXV).
Der Begriff „Vollmann“ kann im Kontext der sog. „Zwischenstufen“ gelesen werden. Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstige körperliche Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstige seelische Eigenschaften.
Mit dieser Theorie öffnete Hirschfeld bereits 1907 das gängige Konzept des biologisch-genitalen Geschlechts für Aspekte, die u.a. auf der erlebten Identität der Individuen beruhten.
Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher gingen damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.
-
Ort
-
Berlin
-
Sprache
-
de
-
Gefördert durch
-
Förderprogramm zur Digitalisierung von Objekten des kulturellen Erbes des Landes Berlin