Brustporträt von Madame Delait

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Brustporträt von Madame Delait
Beschreibung des Objekts
Schwarz-Weiß-Fotografie einer im Profil gezeichneten Frau, die vom Kopf bis zur Brust sichtbar ist. Sie trägt eine gemusterte Jacke, darunter einen hellen Rollkragenpullover. Sie ist vor einem neutralen Hintergrund abgebildet und blickt geradeaus.

Kontext:
Über Madame Delait schrieb der Sexualwissenschaftler und Sexualreformer Magnus Hirschfeld, dass sie 1867 in Lothringen geboren und „seit ihrem 20. Jahre glücklich, wenn auch kinderlos, verheiratet“ sei (vgl. Hirschfeld: Geschlechtsübergänge, Text vor Tafel XIV). Vermutlich handelt es sich um Clémentine Delait, die zusammen mit ihrem Mann eine Bar unterhielt, die später in „Le café de la Femme à Barbe“ umbenannt wurde. Aufgrund ihres Bartwuchses galt sie als „Sensation“ und ließ sich gegen Bezahlung fotografieren und auch Postkarten von ihr waren im Umlauf.

Porträts wie das von Madame Delait wurden in der zeitgenössischen Literatur der frühen Sexualwissenschaft zumeist im Kontext sog. „Bartfrauen“ bzw. „Bartdamen“ abgebildet. Auch Magnus Hirschfeld, Sexualwissenschaftler und Sexualreformer, nutzte Abbildungen von „bärtigen Frauen“ u. a. in seiner Publikation „Geschlechtsübergänge“ im Kapitel „Androtrichie. Feminae barbatae“. Dort schreibt er: „Zu den häufigsten und augenfälligsten Geschlechtsübergängen gehören die der Behaarung, einem […] besonders wichtigen sekundären Geschlechtscharakter.
Um sich von der Häufigkeit des ‚Frauenbartes‘ eine Vorstellung zu machen, ist es nur nötig, die Annoncenteile der Zeitungen zu durchsehen. Ich sammelte einige Wochen die Inserate, in denen die Entfernung weiblicher Barte mittelst Elektrolyse, Enthaarungswassern, Depilatorien und anderen Methoden angepriesen wird und fand, daß sich in Berlin Dutzende von Personen diesem anscheinend recht einträglichen Erwerbszweig widmen.“ (vgl. Hirschfeld, Magnus (1913): Geschlechtsübergänge. Mischungen männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere (Sexuelle Zwischenstufen), Max Spohr, Text vor Tafel XIV)

Bilder von „Frauen mit Bärten“ waren auch Teil der Bilderwand „Sexuelle Zwischenstufen“, die für den im August 1913 in London tagenden internationalen medizinischen Kongress angefertigt und dann im Institut für Sexualwissenschaft gezeigt wurde. Der Gründer des Instituts, Magnus Hirschfeld, wollte mit der Bilderwand seine um 1910 vorgelegte „Zwischenstufentheorie“ veranschaulichen und untermauern.

Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstige körperliche Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstige seelische Eigenschaften.

Mit dieser Theorie öffnete Hirschfeld bereits 1907 das gängige Konzept des biologisch-genitalen Geschlechts für Aspekte, die u.a. auf der erlebten Identität der Individuen beruhten.
Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher gingen damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.

Der Film ROSALIE (Kinostart 19.09.2024) ist von Clémentine Delaits Leben inspiriert (siehe https://www.x-verleih.de/filme/rosalie/, abgerufen am 8.8.2024)
Datierung
Ort
Berlin
Sprache
de
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CC0
Nutzungsrechte Digitalisat
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Förderprogramm zur Digitalisierung von Objekten des kulturellen Erbes des Landes Berlin

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